Mit großem Gepäck kamen die Profis des HSV gestern Mittag in die AOL Arena. Zwei Sporttaschen, eine große Reisetasche - das war das Minimum, das Stefan Wächter, Bastian Reinhardt und Co. zu schleppen hatten. Betretene Gesichter waren auch zu sehen, schließlich bewegt sich der Verein derzeit in einer seinen tiefsten Krisen. Wird sich der Abstiegskampf zuspitzen? Oder kann das Team den Geist der Erbismühle beschwören und Gewinn bringend mitnehmen ins Bundesligaspiel in Mainz am Sonnabend?
Handfest greifbar ist es jedenfalls nicht, was der HSV im Taunus sucht. "Unbewusst kann solch ein Mini-Trainingslager zusammenschweißen", hofft Torwart Wächter. Es sei wichtig, dass die Mannschaft zusammenhalte und ihren Teamgeist noch mehr fördere. Ähnlich sieht es auch Bastian Reinhardt, der sich nach ausgeheilter Oberschenkelzerrung auf einen Einsatz in der Startelf freut: "In den vergangenen Wochen sind uns Sachen passiert, bei denen ich dachte: Es darf nicht wahr sein, dass sich alles gegen uns wendet. Jetzt müssen wir gemeinsam da unten herauskommen."
Wobei dem HSV eine äußerst schwierige Gratwanderung bevorstehe. "Auf der einen Seite dürfen wir nicht verkrampfen", so Reinhardt, "und müssen gleichzeitig sehr ernsthaft an die Aufgabe herangehen." Der 30 Jahre alte Routinier sieht andere Vereine, die im hinteren Drittel der Tabelle stehen, im Vorteil: "Wenn eine Mannschaft auf den Abstiegskampf vorbereitet ist, mag es leichter sein. Wir müssen erst unsere neue Situation annehmen."
Dass im Hotel Erbismühle, etwa 40 Kilometer von Frankfurt entfernt, zu friedliche Stimmung aufkommt, wird Trainer Thomas Doll verhindern. "Natürlich wollen wir uns auch über Taktik unterhalten und vieles einstudieren", so der stark unter Druck stehende Coach. "Aber wir werden vom Trainerteam auch Druck aufbauen. Die Partie in Mainz ist von größter Bedeutung für den Verein."
In der jüngeren Vergangenheit sind HSV-Mannschaften zwei Mal in ein Kurz-Trainingslager gefahren. 2001, nach einigen Tagen im fränkischen Kurort Bad Gögging, schafften die Hamburger unter Übergangstrainer Holger Hieronymus ein 0:0 beim 1. FC Nürnberg. Zwei Jahre später führte Klaus Toppmöller den HSV, der sich zuvor abgeschieden in Niederkassel kaserniert hatte, immerhin zu einem 1:0-Erfolg beim 1. FC Köln. "Daran kann ich mich noch gut erinnern. Damals haben wir uns noch mehr auf das Spiel fixiert als normal, und es hat geholfen", sagt Stefan Wächter.
Bringt die vielleicht letzte Trumpfkarte, die Thomas Doll ausspielt, den ersehnten Erfolg? HSV-Idol Charly Dörfel hält sich bedeckt: "Ich glaube an Thomas Doll. Aber so effektiv ist ein Kurz-Trainingslager nicht." Aufsichtsrat Willi Schulz sagt vorsichtig: "Ich hoffe, dass die Mannschaft das Signal des Trainers annimmt."
Unklar ist, auf welche Spieler Doll voll zurückgreifen kann. Die Angreifer Paolo Guerrero und Benjamin Lauth klagen über Muskelbeschwerden. Gute Nachrichten kamen aus Holland: Die Verletzung von Joris Mathijsen, bei dem ein Nasenbeinbruch diagnostiziert worden war, ist weniger gravierend als befürchtet. Wie sein Teamkollege Rafael van der Vaart wird Mathijsen heute in den Taunus nachkommen - auf der Suche nach dem Geist der Erbismühle.